Samstag, 10. März 2012

wenn die presse krieg fordert - ein ausflug ins strafrecht


in der deutschen presselandschaft häufen sich artikel, die mehr oder minder unverholen militärische aktionen gegen den iran bzw. in syrien protegieren. ein unschönes beispiel war kürzlich in der zeit zu finden, als sich herausgeber josef joffe sowie herr jan ross die ehre gaben:


ich hab mir mal die frage gestellt, inwiefern dieser und ähnlich gelagerte artikel strafrechtlich relevant sein könnten.

auf anhieb fallen mir folgende tatbestände ein, die ich im folgenden einer summarischen prüfung unterzogen habe:

§ 80a StGB - Aufstacheln zum Angriffskrieg
§ 80 StGB - Vorbereitung eines Angriffskrieges
§ 130 StGB - Volksverhetzung
§ 131 StGB - Gewaltdarstellung
§ 6 Völkerstrafgesetzbuch - Völkermord
§ 7 Völkerstrafgesetzbuch - Verbrechen gegen die Menschlichkeit

für alle, die keine zeit oder keine lust haben, sich durch die §§ zu arbeiten:

meines erachtens erfüllen zeitungsartikel, die militärische interventionen gegen bzw. in souveränen staaten fordern, protegieren oder gutheißen die tatbestände § 80a StGB, § 131 StGB und stellen eine versuchte anstiftung zu § 7 Völkerstrafgesetzbuch dar. interessant wäre, ob irgendein staatsanwalt in deutschland den hintern in der hose hätte, dies auch so zu beurteilen.

im einzelnen:

§ 80a Aufstacheln zum Angriffskrieg

Wer im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) zum Angriffskrieg (§ 80) aufstachelt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

anmerkung: zeitungsartikel, die einen krieg fordern bzw. für notwendig erachten, dürften den tatbestand des § 80a stgb erfüllen. selbst wenn in den artikeln lediglich ein eingreifen der usa gefordert wird (was für sich allein genommen den tatbestand nicht erfüllt), so dürfte aufgrund der wahrscheinlichen beteiligung der nato und damit auch deutschlands zumindest bedingter vorsatz gegeben sein.

§ 80 Vorbereitung eines Angriffskrieges

Wer einen Angriffskrieg (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes), an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.

anmerkung: tatbestand wohl nicht erfüllt; "vorbereiten" ist mehr als "aufstacheln" - sonst wäre der 80a stgb überflüssig.


exkurs "angriffskrieg"

Art 26 GG 
(1) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.

"Angriffskrieg bezeichnet die Kriegsführung eines Staates, bei der dieser als Angreifer einen anderen Staat auf dessen Territorium angreift, ohne dass der Angreifer (oder ein anderer Staat) entweder von dem angegriffenen Staat vorher selbst angegriffen worden wäre, ein solcher Angriff unmittelbar bevorstehen würde, oder der angegriffene Staat dem Angreifer den Krieg erklärt hätte oder Teile seines Territoriums besetzt hält." (zitat aus wikipedia)

exkurs ende

§ 130 Volksverhetzung
(1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, 
1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder
2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.


anmerkung: tatbestand nicht erfüllt. schutzzweck des § 130 stgb ist das friedliche zusammenleben IM staat, daher im falle iran/syrien nicht erfüllt.

§ 131 Gewaltdarstellung
(1) Wer Schriften (§ 11 Abs. 3), die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt,
1. verbreitet,
2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht,
3. einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überläßt oder zugänglich macht oder
4. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nummern 1 bis 3 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

anmerkung: tatbestand erfüllt; kriegshetzeartikel verharmlosen unmenschliche und grausame gewalttätigkeiten. oder sollte krieg keine grausamen und unmenschlichen gewalttätigkeiten implizieren?

§ 6 Völkerstrafgesetzbuch - Völkermord
(1) Wer in der Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören,
1. ein Mitglied der Gruppe tötet,
2. einem Mitglied der Gruppe schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art, zufügt,
3. die Gruppe unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen,
4. Maßregeln verhängt, die Geburten innerhalb der Gruppe verhindern sollen,
5. ein Kind der Gruppe gewaltsam in eine andere Gruppe überführt,
wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

anmerkung: tatbestand nicht erfüllt, da ein zeitungsartikel den tatbestand rein denklogisch nicht erfüllen kann. anstiftung oder beihilfe bzw. versuchte anstiftung/beihilfe m.e. ebenfalls nicht erfüllt, da ein "normaler" krieg von usa/nato sich nicht explizit gegen o.g. gruppen richtet.

§ 7 Völkerstrafgesetzbuch - Verbrechen gegen die Menschlichkeit
(1) Wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung
1. einen Menschen tötet,
2. in der Absicht, eine Bevölkerung ganz oder teilweise zu zerstören, diese oder Teile hiervon unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, deren Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen,
3. Menschenhandel betreibt, insbesondere mit einer Frau oder einem Kind, oder wer auf andere Weise einen Menschen versklavt und sich dabei ein Eigentumsrecht an ihm anmaßt,
4. einen Menschen, der sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er ihn unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
5. einen Menschen, der sich in seinem Gewahrsam oder in sonstiger Weise unter seiner Kontrolle befindet, foltert, indem er ihm erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, die nicht lediglich Folge völkerrechtlich zulässiger Sanktionen sind,
6. einen anderen Menschen sexuell nötigt oder vergewaltigt, ihn zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
7. einen Menschen dadurch zwangsweise verschwinden lässt, dass er in der Absicht, ihn für längere Zeit dem Schutz des Gesetzes zu entziehen,
a) ihn im Auftrag oder mit Billigung eines Staates oder einer politischen Organisation entführt oder sonst in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt, ohne dass im Weiteren auf Nachfrage unverzüglich wahrheitsgemäß Auskunft über sein Schicksal und seinen Verbleib erteilt wird, oder
b) sich im Auftrag des Staates oder der politischen Organisation oder entgegen einer Rechtspflicht weigert, unverzüglich Auskunft über das Schicksal und den Verbleib des Menschen zu erteilen, der unter den Voraussetzungen des Buchstaben a seiner körperlichen Freiheit beraubt wurde, oder eine falsche Auskunft dazu erteilt,
8. einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art, zufügt,
9. einen Menschen unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt oder
10. eine identifizierbare Gruppe oder Gemeinschaft verfolgt, indem er ihr aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, aus Gründen des Geschlechts oder aus anderen nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründen grundlegende Menschenrechte entzieht oder diese wesentlich einschränkt,
wird in den Fällen der Nummern 1 und 2 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummern 3 bis 7 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren und in den Fällen der Nummern 8 bis 10 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

anmerkung: tatbestand nicht erfüllt, weil ein zeitungsartikel nicht tatbestansmäßig sein kann. allerdings kommt m.e. eine versuchte anstiftung bzw. versuchte beihilfe in betracht, solange es noch nicht zum krieg gekommen ist; danach anstiftung/beihilfe.

Freitag, 17. Februar 2012

Wulffs Vermächtnis



Zurückgetreten.

Der Christian. Bundespräsi von Muttis Gnaden.

Wurde aber auch Zeit, sagen die meisten.

Hmm.

Wenn von Christian Wulff eins im kollektiven Gedächtnis haften bleiben soll, dann bitte diese eine Rede! So konsequent hat kaum ein anderer deutscher Politiker der Gegenwart dem Finanzsektor ins Poesiealbum gekotzt.

DANKE!

Ich habe die Rede auf die wichtigen Aussagen reduziert, für alle, die gerne nur die Überschriften lesen, habe ich die wichtigen Stellen FETT gekennzeichnet. Das Allerallerallerwichtigste ist FETT und unterstrichen.

„Unser Europa muss uns alle Anstrengung wert sein“

Bundespräsident Christian Wulff
zur Eröffnung
der 4. Tagung der Wirtschaftsnobelpreisträger
am 24. August 2011 in Lindau

"... 

Unser Europa muss uns alle Anstrengung wert sein. Nichts ist
selbstverständlich. Nichts darf verspielt werden. Das Schicksal Europas
ist letztlich das Schicksal aller seiner Völker. Deutsche und europäische
Interessen sind nicht voneinander zu trennen, sondern zwei Seiten
einer Medaille. Das macht es so überaus notwendig, die gemeinsamen
Anliegen konsequent zu vertreten. Dieser Verantwortung in und für
Europa sind wir Deutsche uns bewusst.

...

In diesen Wochen zeigt sich in Europa und in den USA
überdeutlich: Die Banken- und Schuldenkrise hat die Politik, hat die
Regierungen und Notenbanken, an Grenzen gebracht. Die Aufgaben,
die Regierungen derzeit weltweit zu bewältigen haben, sind immens
und haben Auswirkungen auf die ganze Welt: Steigende Rohstoffpreise
und Lebensmittelpreise und Überhitzungen von Ökonomien, zum
Beispiel in den Schwellenländern. 

...

Als die Krise ausbrach, bestand auf globaler Ebene schnell
Einigkeit. Beschlossen wurden Konjunkturpakete in einem bislang nie
dagewesenen Ausmaß. Dem Finanzsektor und den Banken eilte man zu
Hilfe – mit Geld der Steuerzahler, Staatsgarantien und massiven
monetären Transfusionen durch die Notenbanken. Im Jahr 2008 galt
es, mit allen Mitteln den Kollaps zu verhindern und den Kreislauf des
Patienten Weltwirtschaft zu stabilisieren. Ich möchte hier daran
erinnern, dass das mit dem Vorsatz geschah, den Patienten
Weltwirtschaft dann aber auch baldmöglichst zu therapieren. Doch
immer noch ist der Bankensektor labil, sind die Staatsschulden in den
größten Volkswirtschaften auf Rekordniveau und die fundamentalen
Probleme für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit so präsent wie
zuvor. Es wurde mehr Zeit gewonnen als Zeit genutzt, um den
Patienten zu therapieren.

Auf dem Deutschen Bankentag hatte ich den Finanzsektor bereits
gewarnt. Wir haben weder die Ursachen der Krise beseitigt, noch
können wir heute sagen: Gefahr erkannt – Gefahr gebannt. Wir sehen
tatsächlich weiter eine Entwicklung, die an ein Domino-Spiel erinnert:
Erst haben einzelne Banken andere Banken gerettet, dann haben
Staaten vor allem ihre Banken gerettet, jetzt rettet die
Staatengemeinschaft einzelne Staaten. Da ist die Frage nicht unbillig:
Wer rettet aber am Ende die Retter? Wann werden aufgelaufene
Defizite auf wen verteilt beziehungsweise von wem getragen?

...

Nach meiner Überzeugung bedeuten alle notwendigen
Problemlösungen, wie immer sie aussehen, Zumutungen -
Zumutungen für alle Beteiligten. So einfach ist es in der Demokratie
und zugleich so schwierig. Aber eine gute Zukunft wird es nur geben,
wenn wir langfristig zurückfinden zu solidem Wirtschaften. Das wird
Einschnitte bedeuten, die schmerzhaft sind. Langfristig wird aber nur
dies Handlungsfähigkeit und Wohlstand bewahren. Wichtig dabei ist,
dass die Lasten fair verteilt werden. Ich verstehe, dass viele nicht
nachvollziehen wollen, dass Bankmanager zum Teil exorbitant
verdienen, dass aber zugleich Banken mit Milliarden gestützt werden.
Und Trittbrettfahrer in der Finanzwelt spekulieren weiterhin darauf, von
der Politik und damit letztlich von Steuerzahlern aufgefangen zu
werden – weil sie zum Beispiel zu groß sind und zu relevant für den
gesamten Wirtschaftskreislauf.

Ich erinnere, wie mir, als ich in Ihrem Alter war, ein Unternehmer
erzählte, er hätte von seinem Vater gelernt: „Wenn Du einen kleinen
Kredit aufnimmst, dann hat Dich die Bank in der Hand. Wenn der
Kredit eine bestimmte Größe erreicht, dann hast Du die Bank in der
Hand.“ Und wenn die Bank eine bestimmte Größe hat, scheint es jetzt
so zu sein, dass sie den Staat in der Hand hat. Und das empfinden die
Menschen zu Recht als unfair - so wie es der Volksmund sagt: „Die
Kleinen fasst man, die Großen lässt man laufen.“ Ungleichheiten sind
wichtige Antriebskräfte, wenn sie nicht zu groß werden. Sie werden
dann aber nicht akzeptiert, wenn Gewinne privatisiert werden, Verluste
jedoch kollektiviert, sozialisiert, auf alle abgeladen werden. Hier geht
es um prinzipielle Fragen. Menschen reagieren empfindlich, wenn
Fairnessprinzipien verletzt werden. Fairness ist ein Urbedürfnis des
Menschen. 

...

Das Versagen von Eliten bedroht langfristig den Zusammenhalt in
der Gemeinschaft, in der Gesellschaft. Wer sich zur Elite zählt und
Verantwortung trägt, darf sich eben auch nicht in eine eigene
abgehobene Parallelwelt verabschieden. Sondern jede, jeder hat
Verantwortung für das Ganze und für den Zusammenhalt in einem
Land. Dass es nicht fair zugeht und Lasten einseitig verteilt werden,
dieses Gefühl haben aber immer mehr Bürgerinnen und Bürger.

...

Statt klare Leitplanken zu setzen, lassen sich Regierungen immer
mehr von den globalen Finanzmärkten treiben. Wenn der Dax, der
Börsenindex fällt, sollen Politiker ihren Urlaub abbrechen. Wenn es gut
läuft, war es die Wirtschaft, wenn es nicht so gut läuft, ist es die
Politik. Das kann nicht die Aufgabenteilung in der Gegenwart und
Zukunft sein. Immer öfter treffen die Politiker eilig weitreichende
Entscheidungen kurz vor Börsenöffnung, anstatt den Gang der Dinge
längerfristig zu bestimmen. Dies trifft Demokratien in ihrem Kern.

...

Zuerst: Politik muss ihre Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Sie
muss sich endlich davon lösen, hektisch auf jeden Kursrutsch an den
Börsen zu reagieren. Sie muss sich nicht abhängig fühlen und darf sich
nicht am Nasenring durch die Manege führen lassen, von Banken, von
Ratingagenturen oder sprunghaften Medien. Politik hat Gemeinwohl zu
formulieren, mit Mut und Kraft im Konflikt mit Einzelinteressen. Politik
hat Strukturen zu ordnen und gegebenenfalls den Rahmen
anzupassen, damit knappe Ressourcen bestmöglich eingesetzt werden
und Wirtschaft und Gesellschaft gedeihen. Politik hat langfristig
orientiert zu sein und, wenn nötig, auch unpopuläre Entscheidungen zu
treffen. In freiheitlichen Demokratien müssen die Entscheidungen im
Übrigen immer von den Parlamenten getroffen werden. Denn dort liegt
die Legitimation. In der Demokratie geht die Macht vom Volke aus,
durch in Wahlen und Abstimmungen gewählte Repräsentanten und
Abgeordnete.

...

Mich stimmt nachdenklich, wenn erst im allerletzten Moment
Regierungen Bereitschaft zeigen, Besitzstände und Privilegien
aufzugeben und notwendige Reformen einzuleiten. Erst recht, wenn die
obersten Währungshüter dafür auch noch weit über ihr Mandat
hinausgehen und massiv Staatsanleihen - derzeit im Volumen von über
110 Milliarden Euro - aufkaufen. Das kann und das wird auf Dauer
nicht gut gehen und kann allenfalls übergangsweise toleriert werden.
Auch die Währungshüter müssen schnell zu den vereinbarten
Grundsätzen zurückkehren. Ich sage es hier mit Bedacht, ich halte den
massiven Aufkauf von Anleihen einzelner Staaten durch die
Europäische Zentralbank für politisch und rechtlich bedenklich. Artikel
123 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union
verbietet der EZB den unmittelbaren Erwerb von Schuldtiteln, um ihre
Unabhängigkeit zu sichern. Dieses Verbot ergibt nur dann Sinn, wenn
die Verantwortlichen es nicht durch umfangreiche Aufkäufe am
Sekundärmarkt umgehen. Der indirekte Kauf von Staatsanleihen ist im
Übrigen auch noch teuerer als der direkte. Wieder verdienen
Finanzmarktakteure Provisionen ohne ein eigenes Risiko zu tragen.
Ein Grundprinzip der Marktwirtschaft ist, dass Risiko und Haftung
Hand in Hand gehen. Wer Risiken eingeht, kann auch scheitern. Dieses
Prinzip muss auch für den Finanzsektor gelten, für kleine Anleger wie
für große Institute. Hier muss Versäumtes dringend nachgeholt werden
– weit über das hinaus, was in der G20 bisher angestoßen worden ist.
Am Ende kommt es darauf an, dass wir alle gemeinsam durchsetzen,
dass der Finanzsektor wieder in seine dienende Rolle zurückfindet und
zu einer nachhaltigen globalen Entwicklung beiträgt. Wir brauchen gut
funktionierende, leistungsfähige globale Kapitalmärkte, die dabei
helfen, Risiken zu beherrschen, anstatt sie zu schaffen. Und die Kapital
und Ideen zusammenbringen – Ideen zur Lösung der großen Aufgaben,
vor denen die Welt steht.

...

Ich möchte zum Schluss wieder zu meinem Anfangsbild
zurückkehren. Wir sollten uns fragen, wo wir in 50 Jahren stehen
wollen, was wir für die kommenden Jahrzehnte wirklich als wichtig
empfinden. Was macht Wohlergehen letzten Endes aus, was dient dem
Allgemeinwohl? Und was erweist sich als dauerhaft und nachhaltig?
In den Wissenschaften gibt es keinen Konsens, wie man
persönliches Wohlergehen am besten misst. Doch verschiedene
Indikatoren, die die persönliche Lebensqualität von Menschen zu
erfassen versuchen, zeigen, dass das Wachstum des
Bruttoinlandsprodukts allein nicht zu einer Steigerung des
Glücksgefühls führt. Immer dann, wenn die materiellen
Grundbedürfnisse erfüllt sind, scheint nicht mehr das materielle „Mehr“
entscheidend für die Zufriedenheit zu sein, sondern vielmehr die
Möglichkeit, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, sich frei
und in stabilen gesellschaftlichen Verhältnissen entfalten zu können.
Wohlstand hieße dann vor allem, die Chance zu haben, ein
gedeihliches, sinnerfülltes und kreatives Leben zu führen. Viele, viele
Menschen wünschen sich das, und ich begrüße sehr, dass die
Wissenschaft menschliches Verhalten, dessen psychologische und
soziologische Grundlagen endlich stärker experimentell erforscht.

...

Einer der Gründungsväter der Vereinigten Staaten von Amerika,
der dritte Präsident, Thomas Jefferson, hat im Sommer 1816, also vor
nicht einmal 200 Jahren, festgehalten:

„Wir haben die Wahl zwischen Sparsamkeit und Freiheit, oder
Überfluss und Knechtschaft." 

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen - in
diesem Sommer 2011, dem Sommer der Ernüchterung, der aus meiner
Sicht zwingend den Beginn einer Rückbesinnung markieren muss.
Dann hätten wir wirklich aus den Krisen gelernt.

Vielen Dank."

Donnerstag, 2. Februar 2012

E S M - kreative Deutungsversuche

Gib mir ein "E"! - Gib mir ein "S"!! - Gib mir ein "M"!!!


E - S - M !!!!!! Drei Buchstaben stehen für eine neue Qualität der Europadiktatur: E S M - nach offizieller Lesart heißt das "Europäischer Stabilitätsmechanismus".

Für den inhaltlichen Einstieg hier die 58 Seiten Vertragsentwurf auf die wesentlichen Punkte reduziert:

1.) Das Stammkapital des ESM beträgt zunächst 700 Milliarden Euro. Davon entfallen ca. 190 Milliarden Euro auf Deutschland. (Artikel 8 in Verbindung mit Art. 11 und Anhang I)
2.) Deutschland muss bei Abforderung binnen sieben Tagen diese 190 Milliarden Euro an den ESM zahlen. (Art. 9)
3.) Dieser Betrag kann sich erhöhen. (Art. 10 und 25)
4.) Alle Organe und Angestellten des ESM genießen umfassende Immunität. (Art. 35)
5.) Alle Vermögensgegenstände des ESM genießen umfassende Immunität und sind von jeglichen Vorschriften befreit. (Art. 32)
6.) Alle Unterlagen und Räumlichkeiten des ESM sind unverletzlich. (Art. 32)

Ausführlicher habe ich mich HIER mit dem Vertragstext beschäftigt.

Was kann man nun dem offiziellen Titel "Europäischer Stabilitätsmechanismus" entnehmen? Zunächst lässt sich feststellen, dass drei wesentliche Bestandteile vorliegen: "Europa", "stabil" und "mechanisch". 

a) Mit "Europa" hat der ESM nach meiner Interpretation soviel zu tun, als dass alle Unterzeichner des Vertrages gemeinsam dem finanziellen Kollaps entgegenschlittern. Dadurch wird der Gemeinschaftsgedanke der EU auch in schweren Zeiten umgesetzt. Respekt! Der ESM hat insofern die Wirkung von Handschellen für die Unterzeichner - mitgefangen, mitgehangen!

b) "Stabil" sollen vor allem die Einkünfte der Finanzelite sein. Exorbitante Staatsschulden sind dafür ein wesentlicher Baustein. Staaten sind in der Regel verlässliche Schuldner und können über Steuern die arbeitende Bevölkerung nach Belieben ausplündern. Ein wesentlicher Anteil der Steuereinnahmen wird dann direkt für den Schuldendienst an die Privatbanken überwiesen.

c) "Mechanisch" meint vor allem, dass jegliche demokratische Instrumente in den Mitgliedsstaaten von vornherein ausgeschaltet werden. Wozu nochmal abstimmen lassen, wenn sich der deutsche Anteil um ein paar Milliarden erhöht? Wozu den ESM irgendeiner - vielleicht noch demokratisch legitimierten - Kontrolle unterwerfen? Und vielleicht auch noch die handelnden Personen für ihre Entscheidungen haftbar machen? Nein, dann kann der ESM nicht "stabil" arbeiten.

Vor diesem Hintergrund habe ich ein paar ganz andere Interpretationen der Abkürzung ESM gefunden, die das wahre Wesen des ESM viel besser erfassen:

  • Europäisches SchuldenMonster
  • Ein Schauriges Märchen
  • Endlose StaatenMisere
  • Eklatant Sittenwidriges Machwerk
  • Ewige SchuldenMonarchie
  • Ermächtigung Sei Mein - oder auch
  • Elender Schwachsinniger Müll
Der geneigte Leser möge sich bei vorhandenem Interesse und Kreativität gern aufgefordert fühlen, weitere Deutungen hier in die Kommentare zu schreiben. Ich werde diese gern in den Post übernehmen.

Insofern wünsche ich noch einen ESM-freien Tag!

Dienstag, 31. Januar 2012

ESM - Europäische SchuldenMonarchie


Der ESM - eine Lesung

Jetzt soll also Kollege ESM kommen und EFSF ersetzen. Hä? Wer soll was und warum und wer ist überhaupt ESM? Gemach, Gemach - es wird gleich heller im Keller! ESM - nach offiziellen Verlautbarungen heißt das "Europäischer Stabilitätsmechanismus". Es könnte aber auch "Europäische SchuldenMonarchie", "Extravagantes SchuldenMonster" oder schlicht und ergreifend "Elender Schwachsinniger Müll" heißen. Nach Informationen aus dem Kanzleramt sollte der ESM eigentlich EADM heißen, wobei EADM für "Endgültige Abschaffung Demokratischer Mindeststandards" steht. Aber das ging bei Mutti nicht durch die Endkontrolle.

Im Folgenden die wichtigsten Normen des ESM auf das Wesentliche reduziert und ganz bewusst ohne jede Wertung, lediglich einige Hervorhebungen sollen den Blick auf das Wesentliche (sprich: Ungeheuerliche) lenken; wenige Anmerkungen das Verständnis erleichtern. 



ARTIKEL 3

Zweck



"Zweck des ESM ist es, Finanzmittel zu mobilisieren und ESM-Mitgliedern ... eine Stabilitätshilfe zu gewähren, wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar ist."



ARTIKEL 8
Genehmigtes Stammkapital 

„1. Das genehmigte Stammkapital beträgt 700 Milliarden EUR.

2. Das genehmigte Stammkapital wird in eingezahlte Anteile und abrufbare Anteile unterteilt.
Der anfängliche Gesamtnennwert der eingezahlten Anteile beläuft sich auf 80 Milliarden EUR.

4. Die ESM-Mitglieder verpflichten sich unwiderruflich und uneingeschränkt, ihren Beitrag ... zu leisten. Sie kommen sämtlichen Kapitalabrufen ... fristgerecht nach.“

Anmerkung: Nach dem Aufteilungsschlüssel (Anhang 1 zum Vertragsentwurf) entfallen auf Deutschland 27,1464 % der finanziellen Beiträge zum ESM. Von den 700 Milliarden EUR entfällt somit ein Anteil von 190.024.800.000 EUR (190 Milliarden Euro) auf Deutschland.  Bezogen auf den einzuzahlenden Anteil gemäß Art. 8 Abs. 2 Satz 2 (80 Mrd. EUR) hat Deutschland auf Abruf zunächst einen Betrag in Höhe von 21.717.120.000 EUR (21,7 Milliarden Euro) in den ESM einzuzahlen. Der deutsche Anteil am abrufbaren Grundkapital (700 Mrd. EUR minus 80 Mrd. EUR = 620 Mrd. EUR) beträgt 168.307.680.000 EUR (168 Milliarden EURO).



ARTIKEL 9
Kapitalabrufe

Anmerkung: Kapitalabrufe können gemäß Artikel 9 durch den Gouverneursrat, das Direktorium oder den Geschäftsführenden Direktor veranlasst werden:

"1. Der Gouverneursrat kann genehmigtes nicht eingezahltes Kapital jederzeit abrufen ....

2. Das Direktorium kann genehmigtes nicht eingezahltes Kapital ... abrufen ....

3. Der Geschäftsführende Direktor ruft genehmigtes nicht eingezahltes Kapital rechtzeitig ab,
falls dies notwendig ist, damit der ESM ... nicht in Verzug gerät. ... Die ESM-Mitglieder verpflichten sich unwiderruflich und uneingeschränkt, Kapital, das der Geschäftsführende Direktor gemäß diesem Absatz von ihnen abruft, innerhalb von sieben Tagen ab Erhalt der Aufforderung einzuzahlen."



ARTIKEL 10
Veränderungen des genehmigten Stammkapitals


1. Der Gouverneursrat ... kann beschließen, das genehmigte Stammkapital zu verändern ....


ARTIKEL 25
Deckung von Verlusten

2. Nimmt ein ESM-Mitglied die ... erforderliche Einzahlung nicht vor, so ergeht an alle ESM-Mitglieder ein revidierter erhöhter Kapitalabruf, um sicherzustellen, dass der ESM die Kapitaleinzahlung in voller Höhe erhält.



ARTIKEL 32
Rechtsstatus, Vorrechte und Befreiungen

"3. Der ESM, sein Eigentum, seine Mittelausstattung und seine Vermögenswerte genießen
unabhängig davon, wo und in wessen Besitz sie sich befinden, Immunität von gerichtlichen Verfahren jeder Art ....

4. Das Eigentum, die Mittelausstattung und die Vermögenswerte des ESM genießen unabhängig davon, wo und in wessen Besitz sie sich befinden, Immunität von Durchsuchung, Beschlagnahme, Einziehung, Enteignung und jeder sonstigen Form des Zugriffs durch vollziehende, gerichtliche, administrative oder gesetzgeberische Maßnahmen.

5. Die Archive des ESM und sämtliche Unterlagen, die sich im Eigentum oder im Besitz des
ESM befinden, sind unverletzlich.

6. Die Geschäftsräume des ESM sind unverletzlich.

8. Soweit dies zur Durchführung der in diesem Vertrag vorgesehenen Tätigkeiten notwendig ist, sind das gesamte Eigentum, die gesamte Mittelausstattung und alle Vermögenswerte des ESM von Beschränkungen, Verwaltungsvorschriften, Kontrollen und Moratorien jeder Art befreit.



ARTIKEL 35
Persönliche Immunitäten

1. Im Interesse des ESM genießen der Vorsitzende des Gouverneursrats, die Mitglieder des
Gouverneursrats, die stellvertretenden Mitglieder des Gouverneursrats, die Mitglieder des
Direktoriums, die stellvertretenden Mitglieder des Direktoriums sowie der Geschäftsführende
Direktor und die anderen Bediensteten des ESM Immunität von der Gerichtsbarkeit hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen und Unverletzlichkeit hinsichtlich ihrer amtlichen Schriftstücke und Unterlagen.

Zusammenfassung:

1.) Deutschland muss bei Abforderung binnen sieben Tagen 190 Milliarden Euro an den ESM zahlen.
2.) Dieser Betrag kann sich aus verschiedenen Gründen erhöhen. 
3.) Alle Organe und Angestellten des ESM genießen umfassende Immunität.
4.) Alle Vermögensgegenstände des ESM genießen umfassende Immunität und sind von jeglichen Vorschriften befreit.
5.) Alle Unterlagen und Räumlichkeiten des ESM sind unverletzlich.

Möge sich der geneigte Leser selbst ein Bild machen - mir jedenfalls verschlägt das komplett die Sprache. Hier wird ein unkontrollierbares Monster geschaffen, das mit allen Grundsätzen, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ausmachen, nichts, aber auch gar nichts zu tun hat.


Ich kann jeden nur auffordern, diese Informationen weiter zu verbreiten. Je mehr Menschen wissen, was hier eigentlich in die Welt gesetzt werden soll, desto schwieriger dürfte es den Politikern fallen, dieses Monstrum geräuschlos abzunicken.


Etwas ausführlicher hier: http://www.theintelligence.de/index.php/politik/eu-europaeische-union/3941-der-esm-und-seine-erstaunlichen-spielregeln.html


Der aktuelle Text des ESM-Vertrages ist hier zu finden: http://eurodemostuttgart.files.wordpress.com/2012/01/120123-esm-vertragstext.pdf