Mittwoch, 22. Oktober 2014

Die ultimative Verschwörungstheorie oder: Was interessiert einen Milliardär?

Illuminaten, Freimauer, Bilderberger – wer sich mal etwas Zeit nimmt, findet im Netz Hunderte von Thesen und Geschichten von mehr oder weniger obskuren Geheimbünden, die angeblich die Weltherrschaft anstreben oder bereits erlangt haben. Die Story ist im Grunde genommen immer die gleiche: Eine überschaubare Anzahl von Personen zieht im Hintergrund die Fäden, an denen der Rest der Menschheit zappelt.
Ich will diesen ganzen Stories keine weitere hinzufügen. Dieser Beitrag beschäftigt sich daher nicht mit den o.g. Gruppierungen. Mir geht es allein darum, zu analysieren, ob es eine Gruppe Menschen gibt, die
a) das Geld,
b) die Zeit,
c) die Macht
und
d) das Interesse
haben könnte, gewichtige Entwicklungen in der Welt zu beeinflussen, zu lenken und für ihre Zwecke einzusetzen.
Dazu sind einige Vorüberlegungen anzustellen:
1.) Vermögensverteilung
In Deutschland gibt es ca. 900.000 (Euro-)Millionäre, das sind etwa 1 Prozent der Bevölkerung. Diese 900.000 Millionäre haben ein Vermögen von  etwa 3 Billionen Euro. Bei den Milliardären wird es übersichtlicher; 123 soll es in Deutschland geben, die ein Vermögen von 381 Milliarden Euro besitzen.
2.) Jährliches Einkommen eines deutschen Durchschnittsmilliardärs
Wenn man einmal einen deutschen Durchschnittsmilliardär (DSM) kreieren will, dann hat dieser ein Vermögen von 3,1 Milliarden Euro. Oder anders ausgedrückt 3.100 Millionen Euro. Natürlich nicht in bar. Zumindest nicht den überwiegenden Teil. Nein – das schöne Geld wird angelegt. Im Durchschnitt 33% in Aktien und Beteiligungen, 20% in Bonds (verzinsliche Wertpapiere), den Rest in Immobilien, Rohstoffen, Edelmetallen. Denn es soll ja Rendite bringen. Wenn man mal ganz konservativ von einer Rendite von 5% pro Jahr ausgeht, dann “erwirtschaftet” unser DSM 155 Millionen Euro. Jedes Jahr. Ohne jeden Tag acht Stunden irgendwo hinzurennen. Um das täglich Brot, den Erhalt des Arbeitsplatzes, Kosten für den Sportverein oder all die anderen Probleme Otto Normalverbrauchers, die irgendwie mit Geld zusammenhängen, muss sich der DSM defintiv nicht kümmern. Geld ist für ihn immer ausreichend vorhanden.
3.) Soziale Beziehungen
“Gleich und Gleich gesellt sich gern.” Sagt der Volksmund. Stimmt auch. Ärzte sind mit Ärzten befreundet, Juristen mit Juristen, Läufer mit Läufern und Bergsteiger mit Bergsteigern. HartzIV-Empfänger sind unter ihresgleichen ebenso wie Leute mit mittleren Einkommen ebenso wie die oberen Zehntausend. Millionäre sind mit Millionären befreundet. Und Milliardäre wahrscheinlich mit Milliardären. Dabei ist auch davon auszugehen, dass der “einfache” oder “einstellige” Millionär für den Milliardär auch nur Pöbel darstellt, da die prozentuale Ungleichheit ihrer Vermögen viel größer ist als zwischen einem Durchschnittsverdiener und einem HartzIV-Empfänger.
4.) Probleme eines DSM
Was hat so ein DSM für Probleme? Wahrscheinlich erstmal die üblichen: Stress mit der Frau und dem Rest der Familie, die Plautze, die Jahr für Jahr wächst, Falten im Gesicht, die liebe Gesundheit, Alkohol, Drogen, Depressionen. Also alles Geschichten, die Otto Normalverbraucher neben dem täglichen Lauf im Hamsterrad erledigt. Wahrscheinlich wird sich der DSM allem etwas ausführlicher widmen als die restlichen 99%. Trotzdem dürfte dem DSM ausreichend Zeit zur Verfügung stehen, um mit seinesgleichen diejenigen Probleme zu besprechen, die nur diese klitzekleine Elite betrifft. Was könnte das sein? Die Features der neuen Jacht? Der neue Wellnesstempel auf den Seychellen? Der miese Zustand der Skipisten in Aspen? Scheißqualität bei Bentley? Wird sicherlich auch Thema sein, aber nicht Stunden am Tag kosten. Tagespolitik? Kann Thema sein, muss aber nicht – ich persönlich denke eher nicht. Warum sollte sich der DSM mit Tagespolitik auseinandersetzen? Sie betrifft ihn schließlich nicht. HartzIV-Sätze, Pendlerpauschale, die FDP, der Zustand der Pflegekassen, Spitzensteuersatz? Ist letztlich alles irrelevant. Wer jetzt meint: Naja, zumindest der Spitzensteuersatz ist aber schon relevant, oder? – dem sei gesagt: Irrtum! Der DSM zahlt keine 42 oder 45% Einkommenssteuer, sondern pauschal 25% Kapitalertragssteuer auf seine Einkünfte aus Kapitalerträgen. Nur mal so am Rande.
Jetzt die zentrale Frage: Was könnte einen DSM wirklich interessieren?
Ein reflektierter DSM ist sich dessen bewusst, dass er extrem privilegiert ist. Er weiß, dass 99% der Bevölkerung den ganzen Tag im Kreis herumrennen, damit es IHM gut geht. Er weiß, dass das ganze System auf IHN zugeschnitten ist.
Das Einzige, was ihn deswegen wirklich an Politik interessieren dürfte, ist, DASS ALLES SO BLEIBT, WIE ES IST. Nicht die Pendlerpauschale oder Uschi als Verteidigungsministerin. Nein – das große Ganze. Das Wirtschafts- und Finanzsystem. Das System der Geldschöpfung und des Zinses. Das garantiert ihm sein bescheidenes bedingungsloses Grundeinkommen von 155 Mio. Euro. Wichtig ist auch, dass die restlichen 99% nicht auf die Idee kommen, dass irgendetwas faul ist. Und dass nicht das Geld des DSM, sondern sie, die 99%, das Grundeinkommen des DSM erwirtschaften dürfen.
Gedankenexperiment:
Was würde ich tun, wenn ich ein DSM wäre, der weiß, wo der Hase hinlaufen muss?
Ich würde:
a) Fernseh- und Radiosender, Nachrichtenagenturen, Zeitungen und Verlage kaufen, um die öffentliche Meinung in meinem Sinne zu beeinflussen. Alles, was nicht gefällt, wird weder gedruckt noch gezeigt,
b) Think Tanks, Stiftungen, Institute, Universitäten, Vereine und andere Organisationen gründen, die allein dazu da wären, das herrschende System als das bestmögliche darzustellen und alle konkurrierenden Ideen zu verschweigen, lächerlich zu machen oder zu diffamieren,
c) mir ganz viele Sachen einfallen lassen, die die anderen 99% am Laufen halten. Neue Bedürfnisse wecken (lassen), neue Vergnügungen erfinden (lassen), schöne neue Sachen produzieren (lassen), die alle haben wollen. Dann müssen sie nämlich schön arbeiten gehen und haben keine Zeit ihr trostloses Dasein zu reflektieren,
d) dafür sorgen, dass ARBEIT als normal, ja als erstrebenswert angesehen wird. Und wer nicht arbeitet, muss massiv unter Druck gesetzt werden, damit er sich wieder ins Hamsterrad begibt,
e) die Menschen möglichst früh (Kita, Schule, Uni) so konditionieren, dass sie es als normal empfinden, fünf Tage die Woche irgendwo hinzurennen,
f) teilen. Na nicht mein Vermögen. Nein – die Menschen. In möglichst viele Gruppen. Und diese dann ganz gepflegt gegeneinander ausspielen. Alte gegen Junge, Arbeiter gegen Arbeitslose, Gesunde gegen Kranke, Dünne gegen Dicke, Linke gegen Rechte, Heteros gegen Schwule, Männer gegen Frauen – da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Hauptsache, es kommt keiner drauf, dass man mal den Konflikt Arm gegen Reich thematisieren müsste.
g) Kritik an Einzelheiten des Systems erlauben, am System selbst nicht. Höhe der HartzIV-Sätze, Atomenergie, Betreuungsschlüssel in Kitas, Genfood, TTIP, Veggie-Day und Ex-Autorennfahrer, die zu doof zu Skifahren sind - darüber kann man diskutieren; ABER: alles was das System selbst in Frage stellt, wird verschwiegen, lächerlich gemacht, unterwandert oder mit dem Wasserwerfer fortgespült. 
Und bei allem würde ich immer schön im Hintergrund agieren. Keine Namen, keine Fotos, keine Interviews, keine Vermögensaufstellungen, keine Übersichten über Beteiligungen. Nichts.
Abschließend noch eine Aufgabe für Sie, liebe Leser: Schließen Sie ihre Augen, stellen Sie sich vor, Sie wären ein DSM.
WAS WÜRDEN SIE TUN?